Blumenkohlbrot Morgenroutine Wald Wege Grün

Wenn die Morgenroutine schief läuft

Verschlafen stehe ich in unserer kleinen Küche und reibe mir ärgerlich den Kopf. Bestimmt zum hundertsten Mal habe ich ihn mir jetzt an der Dachschräge gestoßen. Die Entscheidung, früh aufzustehen, um eine Runde Morgensport zu machen, bereue ich schon längst. Für diese Leistung brauchte es ganze fünf Wecker. 7:40, 7:45, 7:50, 7:55, 8:00, alle gestern Abend noch fleißig gestellt. Und es war ein Kampf. 7:40 drehe ich mich noch mit einem Lächeln im Gesicht auf die andere Seite, schließlich sind es ja noch zwanzig Minuten. Auch das Klingeln 7:45 bringt mich nicht aus der Ruhe, fünfzehn Minuten fühlen sich in dem Moment an wie eine lange, erholsame Nacht. Ich weiß nicht, wie mein Körper es macht, aber er schafft es immer wieder für fünf Minuten in einen tiefen Schlaf zu verfallen. Geht das allen Menschen so? 7:50. Langsam wird es kritisch, denke ich mir, aber auch der dritte Wecker lässt mich nicht richtig wach werden. Ich weiß ganz genau, wie schwierig ich mir den Start in den Morgen gestalte, aber das Gefühl von „noch ein paar Minütchen“ würde ich um nichts auf der Welt gegen ein Aufstehen beim ersten Weckerklingeln eintauschen. Der vierte Wecker klingelt. Jetzt wäre der Moment, langsam mal den ein oder anderen Fuß aus dem Bett zu setzen. Vielleicht ausnahmsweise sogar mal den richtigen. Aber welcher ist überhaupt welcher? Egal.  Auch die Melodie von 7:55 schafft es nicht.

Um jetzt nicht noch mehr auf die Folter zu spannen, komme ich mal zum Punkt: Ich schrecke hoch und greife automatisch nach meinem Handy. 8:30. Seufzend aktiviere ich alle fünf Wecker für den nächsten Tag, in der Hoffnung, dass es vielleicht morgen klappt und stehe auf. Wahrscheinlich doch mit dem falschen Fuß, sonst hätte ich mir wahrscheinlich nicht den Kopf gestoßen. Ist das die erste wichtige Entscheidung des Tages, mit der wir bestimmen, wie die nächsten 10-12 Stunden verlaufen? Oder ist es vielleicht doch schon das Snoozen des Weckers? Weiter im Text. Immerhin eine halbe Stunde schweißtreibender Quälerei habe ich geschafft und jetzt fühle ich Muskeln an Stellen, wo ich nicht gedacht hätte, dass dort überhaupt welche sind. Wie ich da so stehe, mit meiner Hand auf den Kopf gedrückt, damit keine Beule wächst, will ich über mich selber lachen. Angesichts der Schmerzen die das dank des übermotivierten Work Outs auslöst, lasse ich es dann aber doch lieber sein. Stattdessen grinse ich nur. Irgendwie ist es ja schon witzig. „Gut“, frage ich mich, „Tee oder Kaffee?“ Beim Blick in die Dose mit dem Kaffepulver fällt mir auf, dass es das war, was mir gestern beim Einkaufen nicht einfallen wollte. Die Entscheidung wurde mir wohl soeben abgenommen. „Eigentlich auch ganz entspannt“, denke ich mir und schalte den Wasserkocher an. Beim Blick in Richtung Teepackungen fällt mir auf, dass ich mich zu früh gefreut habe. Auf was für Tee habe ich denn überhaupt Lust? Wenn ich ganz ehrlich bin, dann eigentlich immer Früchtetee, all die anderen Sorten sind eigentlich nur Platzhalter. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwann mal Kamille, Pfefferminze, Salbei oder Blasen-und Nierentee (Oh wow, heißt der wirklich so?) gekauft zu haben. Bis der Tag kommt, wo ich mir einen Teebeutel von diesen Sorten nehme, wird aber noch einige Zeit vergehen.

Während das Wasser kocht, laufe ich ins Badezimmer. Ich  bin mir selber immer nicht ganz so sicher, ob es eine gute Entscheidung ist, die Zähne vor dem Essen zu putzen. Es ist wie eine Art Angewohnheit, früher als Kind habe ich das immer so gemacht. So richtig drüber nach denke ich also nicht wirklich, spätestens bis ich den ersten Schluck O-Saft nehme. Die Kombination dem Geschmack der Zahnpasta auf der Zunge und dem orangenen Getränk ist… Naja egal. Der Tee ist mittlerweile fertig und ich entscheide mich für die Tasse mit den Bildern von meiner Freundin und mir drauf, die sie mir mal geschenkt hat. Ich muss kurz über uns grinsen, auf einigen sehen wir echt lustig aus. Abgelenkt von den durch meinen Kopf schießenden Erinnerungen an die Tage, an denen die Bilder entstanden sind, merke ich gar nicht wie mir beim Herausnehmen der Teebeutel aus der Kanne einer davon aus der Hand rutscht. Mit einem lauten Platsch fällt er auf meinen Fuß. Bestimmt auf den, mit dem ich heute früh aufgestanden bin. Ich seufze, hebe den Beutel auf und gieße mir plätschernd den Tee in die Tasse. Mit Kaffee wäre mir das nicht passiert.

Nach dem ersten großen Schluck des warmen Getränks werde ich etwas ruhiger und schalte die Bluetooth Box auf der Anrichte ein. Zwar gibt es in der Küche auch ein Radio, aber gerade früh morgens bin ich ein großer Fan davon, selbst für die Auswahl des nächsten Songtitels verantwortlich zu sein und mich nicht auf die des Radiomoderators zu verlassen. Die Auswahl der Musik beim Frühstück kann meine ganze Stimmung für den Tag beeinflussen, deswegen ist hier mit sehr viel Vorsicht und Feingefühl auszusuchen. Heute habe ich Lust auf mitsingen. Als die ersten Töne von „Everybody Wants To Rule The World“ erklingen, weiß ich, dass der Tag trotz Teebeutelplatscher und Kopfstoßer nur gut werden kann. Das Lied war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.

„Welcome to your life, there is no turning back“ singen Tears for Fears während ich vor dem Kühlschrank stehe und schon wieder unschlüssig bin, ob ich mehr Lust auf Frischkäse oder den leckeren Auberginenaufstrich habe. „Wo sie recht haben…“ denke ich mir. Wenn ich jetzt einmal das Blumenkohlbrot beschmiert habe, muss ich es auch essen. Da gibt’s dann auch kein Zurück mehr. Ich greife nach dem Frischkäse und schnappe mir noch ein paar Tomaten, Salz und Pfeffer und tue das Brot in den Mini Backofen, um die perfekte Knusprigkeit zu erreichen. All diese Dinge tue ich innerhalb von Sekunden und ohne wirklich darüber nachzudenken. Mittlerweile ertönt „How Will I Know“ von Whitney Houston aus den Lautsprechern. Sie singt darüber, wie sie wissen soll, ob ihr großer Schwarm denn überhaupt auch auf sie steht. Trotz dieser misslichen Lage klingt sie dabei trotzdem sehr happy und ich kann die Füße nicht mehr stillhalten. Laut mitbrüllend hüpfe ich durch die Küche und fühle all das, was Whitney auch fühlt. Nach der kleinen Soloanlage fällt mir auf, dass es irgendwie ganz schön verbrannt riecht. Mir schwant Böses, als ich den Mini Backofen vorsichtig öffne. Ein kleines Häufchen Elend erwartet mich dort, die Scheibe Blumenkohlbrot ist nur noch ein schwarzes, verkokeltes Abbild von dem, was sie mal war. Mittlerweile ist mir das aber total egal, meine Laune ist gut und das kann mir nichts mehr verderben. Ich schnappe mir eine neue Scheibe Blumenkohlbrot, gieße mir nochmal ein bisschen Tee nach und entscheide mich, das Fenster zu öffnen. Ein Sonnenstrahl kriecht langsam aber sicher in die Küche hinein und ich wärme meine nackten Füße in dem hellen, warmen Fleck auf dem Boden. Diesmal macht es Pling und der Ofen klärt mich netterweise darüber auf, dass mein Blumenkohltoastie dann auch so weit wäre. Während ich es reichlich mit Frischkäse beschmiere (hier gibt es nicht zu wenig) und die Tomaten fein säuberlich drapiere, wird mir belustigt klar, was ich heute Morgen eigentlich schon alles entscheiden musste, ohne wirklich groß darüber nachzudenken.

Klar, alle Wecker hintereinander zu snoozen um auf den allerletzten zu warten? Darüber lässt sich streiten. Auch über die Entscheidung mit dem Morgensport kann man sich nochmal unterhalten. Möglicherweise auch die Kombi aus Zahnpasta und O-Saft. Und wirklich wach bin ich nach dem Tee auch nicht. Außerdem hatte ich, doch mehr Lust auf den Auberginenaufstrich, glaube ich. Und die Nachrichten plus Wetterbericht kann ich auch nicht hören, wenn die Musik über mein Handy läuft. Wie soll ich mich denn jetzt entscheiden, was ich anziehen soll?! „Okay, langsam, langsam“, denke ich mir. Drehen wir es doch mal um. Superfit nach dem Workout starte ich nach einer gesunden Scheibe Blumenkohlbrot und einem stärkenden Tee mit guter Laune dank Whitney und den Typen von Tears for Fears (Wie heißen die überhaupt?) gut gelaunt und ziemlich wach in den Tag. So gefällt mir das schon viel besser. Ich schiebe mir die letzten Krümel in den Mund, entscheide mich ganz bewusst dafür, den Abwasch erst heute Nachmittag zu machen. Die Sonne erhellt mittlerweile den gesamten Raum und ruft förmlich nach mir. Klar, vielleicht werde ich es heute Nachmittag bereuen, wenn ich versuche, die Teerückstände aus der Tasse zu entfernen.

Aber ganz ehrlich? Meistens sind die Entscheidungen aus dem Bauch heraus trotzdem die besten und mit den Folgen kommt man auch irgendwie klar. Alles kein Weltuntergang. Viele Entscheidungen, die bereits alle in den ersten zwei Stunden des Tages getroffen worden, manche bewusst, manche eher unbewusst. Manche wurden mir abgenommen, manche habe ich vielleicht auch kurz danach direkt bereut. Aber ganz ehrlich? Wenn ich es schaffe, mich zwischen Kräuter und -Früchtetee zu entscheiden und mir dann sogar noch eine Tasse auszusuchen, werde ich es wohl auch hinkriegen, zu entscheiden, ob ich meine Eltern dieses oder nächstes Wochenende besuchen soll. Aber nein, dafür brauche ich Tage. Vielleicht sollte ich ab jetzt die Dinge, zwischen denen ich so ewig hin und her schwanke mit Post-Its auf die Marmelade und das Nutella kleben. Wonach ich beim Frühstück greife, ist dann eben auch das, wofür ich mich entscheiden werde. So einfach ist das. Außerdem klebe ich mir Post-Its auf die Füße. Auf dem einen steht richtig und auf dem anderen auch. Damit hat sich die Frage nach dem falschen Fuß dann nämlich auch erledigt. Das entscheidet dann eben der Zufall.

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